Statistiken
Letzte Änderung:
am : 26.06.2018
Besucher seit: 06.09.2009

Aktiv: 1
Heute: 4
Gestern: 31
Rekord: 200
Gesamt: 192890

Wir sind Mitglied im
VRZ e.V. - DHS

Wie konntest du nur?

von Jim Willis

Als ichnoch ein Welpe war, unterhielt ich Dich mit meinen Possen und brachteDich zum Lachen. Du nanntest mich Dein Kind, und trotz einer Anzahldurchgekauter Schuhe und so manchem abgeschlachteten Sofakissen, wurdeich Dein bester Freund. Immer wenn ich “böse” war, erhobst Du DeinenFinger und fragtest mich “Wie konntest Du nur?” - aber dann gabst Dunach und drehtest mich auf den Rücken, um mir den Bauch zu graulen.

Mit meiner Stubenreinheit dauerte es ein bisschen länger als erwartet,denn Du warst furchtbar beschäftigt, aber zusammen bekamen wir das inden Griff. Ich erinnere mich an jene Nächte, in denen ich mich im Bettan Dich kuschelte und Du mir Deine Geheimnisse und Träumeanvertrautest, und ich glaubte, das Leben könnte nicht schöner sein.Gemeinsam machten wir lange Spaziergänge im Park, drehten Runden mitdem Auto, holten uns Eis (ich bekam immer nur die Waffel, denn “Eiscremist schlecht für Hunde”, sagtest Du) und ich döste stundenlang in derSonne, während ich auf Deine abendliche Rückkehr wartete.

Allmählich fingst Du an, mehr Zeit mit Arbeit und Deiner Karriere zuverbringen - und auch damit, Dir einen menschlichen Gefährten zusuchen. Ich wartete geduldig auf Dich, tröstete Dich über Liebeskummerund Enttäuschungen hinweg, tadelte Dich niemals wegen schlechterEntscheidungen und überschlug mich vor Freude, wenn Du heimkamst undals Du Dich verliebtest. Sie, jetzt Deine Frau, ist kein “Hundemensch”- trotzdem hieß ich sie in unserem Heim willkommen, versuchte ihr meineZuneigung zu zeigen und gehorchte ihr. Ich war glücklich, weil Duglücklich warst.

Dann kamen die Menschenbabys und ich teilte Deine Aufregung darüber.Ich war fasziniert von ihrer rosa Haut und ihrem Geruch und wollte siegenauso bemuttern, nur das Du und Deine Frau Angst hattet, ich könnteihnen weh tun, und so verbrachte ich die meiste Zeit verbannt in einemanderen Zimmer , oder in meiner Hütte. Oh, wie sehr wollte auch ich sielieben, aber ich wurde zu einem “Gefangenen der Liebe”.

Als sie aber grösser waren, wurde ich ihr Freund. Sie krallten sich inmeinem Fell fest, zogen sich daran hoch auf wackeligen Beinchen,picksten ihre Finger in meine Augen, inspizierten meine Ohren und gabenmir Küsse auf die Nase. Ich liebte alles an ihnen und ihre Berührung -denn Deine Berührung war jetzt so selten geworden - und ich hätte siemit meinem Leben verteidigt, wenn es nötig gewesen wäre. Ich krochheimlich in ihre Betten, hörte ihren Sorgen und Träumen zu undgemeinsam warteten wir auf das Geräusch Deines Wagens in der Auffahrt.

Es gab einmal eine Zeit, da zogst Du auf die Frage, ob Du einen Hundhättest, ein Foto von mir aus der Brieftasche und erzähltestGeschichten über mich. In den letzten Jahren hast Du nur noch mit “Ja”geantwortet und das Thema gewechselt. Ich hatte mich von “Deinem Hund”in “nur einen Hund” verwandelt und jede Ausgabe für mich wurde Dir zumDorn im Auge.

Jetzt hast Du eine neue Berufsmöglichkeit in einer anderen Stadt, undDu und sie werdet in eine Wohnung ziehen, in der Haustiere nichtgestattet sind. Du hast die richtige Wahl für “Deine” Familiegetroffen, aber es gab mal eine Zeit, da war ich Deine einzige Familie.

Ich freute mich über die Autofahrt, bis wir am Tierheim ankamen. Esroch nach Hunden und Katzen, nach Angst, nach Hoffnungslosigkeit. Dufülltest die Formulare aus und sagtest “Ich weiß, Sie werden ein gutesZuhause für sie finden”. Mit einem Achselzucken warfen sie Dir einengequälten Blick zu. Sie wissen, was einen Hund oder eine Katze“mittleren” Jahren erwartet - auch mit “Stammbaum”. Du musstest DeinemSohn jeden Finger einzeln vom Halsband lösen, als er schrie “Nein,Papa, bitte! Sie dürfen mir meinen Hund nicht wegnehmen!” Und ichmachte mir Sorgen um ihn und um die Lektionen, die Du ihm geradebeigebracht hattest: über Freundschaft und Loyalität, über Liebe undVerantwortung und über Respekt vor allem Leben.

Zum Abschied hast Du mir den Kopf getätschelt, meine Augen vermiedenund höflich auf das Halsband und die Leine verzichtet. Du hattest einenTermin einzuhalten und nun habe ich auch einen. Nachdem Du fort warst,sagten die beiden netten Damen, Du hättest wahrscheinlich schon seitMonaten von dem bevorstehenden Umzug gewusst und nichts unternommen, umein gutes Zuhause für mich zu finden. Sie schüttelten den Kopf undfragten “Wie konntest Du nur?”

Sie kümmern sich um uns hier im Tierheim, so gut es eben geht.Natürlich werden wir gefüttert, aber ich habe meinen Appetit schon vorTagen verloren. Anfangs rannte ich immer vor ans Gitter, sobald jemandan meinen Käfig kam, in der Hoffnung, das seiest Du - dass Du DeineMeinung geändert hättest - dass all dies nur ein schlimmer Traumgewesen sei... oder ich hoffte, dass es zumindest jemand wäre, derInteresse an mir hätte und mich retten könnte.

Als ich einsah, dass ich nichts aufzubieten hatte gegen das vergnügteUm-Aufmerksamkeit-Heischen unbeschwerter Welpen, ahnungslos gegenüberihrem eigenen Schicksal, zog ich mich in eine ferne Ecke zurück undwartete.

Ich hörte ihre Schritte, als sie am Ende des Tages kam, um mich zuholen, und trottete hinter ihr her den Gang entlang zu einemabgelegenen Raum. Ein angenehm ruhiger Raum. Sie hob mich auf den Tischund graulte meine Ohren und sagte mir, es sei alles in Ordnung. MeinHerz pochte vor Aufregung, was jetzt wohl geschehen würde, aber da warauch ein Gefühl der Erleichterung. Für den Gefangenen der Liebe war dieZeit abgelaufen. Meiner Natur gemäss war ich aber eher um sie besorgt.Ihre Aufgabe lastet schwer auf ihr, und das fühlte ich, genauso wie ichjede Deiner Stimmungen erfühlen konnte.

Behutsam legte sie mir den Stauschlauch an meine Vorderpfote an,während eine Träne über ihre Wange floss. Ich leckte ihr die Hand, umsie zu trösten, genau wie ich Dich vor vielen Jahren getröstet hatte.Mit geübtem Griff führte sie die Nadel in meine Vene ein. Als ich denEinstich fühlte und spürte, wie die kühle Flüssigkeit durch meinenKörper lief, wurde ich schläfrig und legte mich hin, blickte in ihregütigen Augen und flüsterte “Wie konntest Du nur?”

Vielleicht verstand sie ja die Hundesprache und sagte deshalb “Es tutmir ja so leid”. Sie umarmte mich und beeilte sich mir zu erklären, essei ihre Aufgabe dafür zu sorgen, dass ich bald an einem besseren Ortwäre, wo ich weder ignoriert noch missbraucht noch ausgesetzt werdenkönnte oder auf mich allein gestellt wäre - einem Ort der Liebe und desLichts, vollkommen anders als dieser irdische Ort. Und mit meinerletzten Kraft versuchte ich ihr mit einem Klopfen meines Schwanzes zuverstehen zu geben, dass mein “Wie konntest Du nur?” nicht ihr galt.

Du warst es, mein geliebtes Herrchen, an den ich dachte. Ich werde fürimmer an Dich denken und auf Dich warten. Möge Dir ein jeder in DeinemLeben so viel Loyalität zeigen.

Einige Worte des Autors:

Wenn “Wie konntest Du nur?” Tränen in Ihre Augen trieb, dann erging esIhnen genauso wie mir, als ich dies schrieb. Jedermann ist es erlaubtdiese Geschichte weiterzugeben, solange es einem nicht kommerziellenZweck dient. Erklären Sie der Öffentlichkeit, dass die Entscheidung,ein Haustier in eine Familie aufzunehmen eine wichtige für das Lebenist, dass Tiere unsere Liebe und unseren Respekt verdienen.

Jim Willis